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30 Jahre Gemeinschaft , Heilungsbiotop, internationales Friedensforschungszentrum: Dieses Jubiläum eine Woche lang zu feiern waren frühere Bewohner:innen, Freund:innen und Mitstreiter:innen des Projekts eingeladen. Gut 80 Menschen folgten dieser Einladung in der letzten Maiwoche, und 40 bis 60 von den rund 150 in Tamera Wohnenden nahmen ebenfalls regelmäßig am Festprogramm teil. Ein zweites Fest für die große Öffentlichkeit findet im Juli mit der Sommer-Universität statt: Building Community in times of global crisis. Eva Weigand und Simon Schramm aus dem ZEGG werden dort als Speaker dabei sein.

Die Temperaturen erreichen bis zu 39 Grad. Das ist nichts Ungewöhnliches im Süden Portugals. In dieser Jahreszeit, Ende Mai, aber schon. Doch es hat gut geregnet in diesem Frühjahr, alle in den letzten 20 Jahren als Wasserspeicher angelegten Seen sind voll gefüllt. Zum ersten Mal seit vielen Jahren ist das so. Und so sieht man ringsherum Blütenpracht und sattes Grün. Die vielen hundert Bäume, die hier angepflanzt wurden, haben zum Teil schon ihre volle Größe erreicht und spenden großzügig Schatten. Wenn man, wie ich, mit der Bahn anfährt, ist der Kontrast zur umgebenden kargen Landschaft deutlich zu sehen.

Wachstum der Gemeinschaft

Im Sommer 1995 wurde das Gelände gefunden und gekauft, nach mehrjähriger Suche, im Alentejo, der am wenigsten besiedelten, ärmsten und heißesten Region Portugals. Mit 145 Hektar ist es fast zehnmal so groß wie das ZEGG, doch zu Beginn gab es gerade mal zwei einigermaßen bewohnbare Gebäude (von denen eines nach wenigen Jahren komplett abbrannte), so dass die Pioniergruppe relativ klein war.

Um die Jahrtausendwende herum kamen dann mehr und mehr Menschen dazu. Viele wohnten zuvor im ZEGG, wollten aber der Ursprungsidee und dem Kraftfeld der visionären Projektgründer Dieter Duhm und Sabine Lichtenfels näher sein und zogen deshalb um. Zwischen 2006 und 2009 fand das große Experiment 'Friedensforschungszentrum Monte do Cerro' statt, zu dem breit eingeladen wurde, und die Anzahl der festen oder zeitweiligen Bewohner stieg auf bis zu 250. Viele der damals neu dazugekommenen sind bis heute geblieben.

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Aktuelle Verhältnisse und Konsolidierung

Doch insgesamt ist die Anzahl der Bewohner:innen Tameras in den letzten Jahren wieder geschrumpft - ein teilweise durchaus schmerzhafter Prozess, auch weil langjährige wichtige Mitarbeiter gegangen sind. Doch es sind immer noch rund 120 Erwachsene und 35 Kinder, die hier leben, - und dass, obgleich in den vergangenen zehn Jahren aus verschiedenen Gründen (z.B. der de facto bestehende Baustopp) fast keine Neuen mehr aufgenommen wurden.

Programm der Jubiläumsfeier

Das Veranstaltungsprogramm ist intensiv und vielfältig, es umspannt das ganze Spektrum vom Eros über die Ökologie und Themen der Gemeinschaft bis hin zur Frage der politischen Wirksamkeit. Besonders beeindruckend war für mich der Montagvormittag, wo es um die Themen Geburt und Tod ging. Dreißig Geburten gab es in den 30 Jahren in oder um Tamera, und 18 Todesfälle, davon vier allein im vergangenen Jahr. In einem kraftvollen Ritual konnten die Menschen sowohl öffentlich sprechend als auch still für sich ihre Trauer und ihre Freude teilen. Dass diese beiden elementaren Vorgänge Geburt und Tod stattfanden eingebettet in eine starke Gemeinschaft wurde von vielen der Sprechenden als besonders wertvoll empfunden.

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Blumen und Dornen

Jeden Tag nach der gemeinsamen Veranstaltung am frühen Vormittag treffen sich die Teilnehmenden in einer von drei 'Kleingruppen'. Um die 40 Menschen sind es in jeder Gruppe. Das Altersspektrum in unserer Gruppe geht von Anfang 20 bis 81, und alle Generationen sind gut repräsentiert. 'Flowers and Thorns' (Blumen und Dornen) ist das Motto dieser zweistündigen Zusammenkunft. Es berührt mich sehr, wie viele der mittlerweile erwachsenen Teilnehmenden schon ihre Kindheit und Jugend in Tamera verbracht haben, oder wesentliche Teile davon - bei gut einem Viertel der Gruppe ist das so. Auch die Eltern von unseren beiden Gruppenleitenden, Mara und Friedemann, sitzen mit in der Gruppe.

Es gibt schöne Berichte über rundherum glückliche Kindheitsjahre hier. Aber in einer für mich bislang nicht bekannten Offenheit werden auch die schmerzhaften Stellen der Vergangenheit benannt und gewürdigt: Wie sich Menschen auch in der Gemeinschaft an schwierigen Stellen im Stich gelassen fühlten. Wie sie sich angepasst haben wider besseres Wissen an das, was sie als die 'offizielle Linie' empfunden haben. Wie im Überschwang der Begeisterung mitunter eigene Grenzen überschritten wurden, bei denen im Nachherein klar wurde, dass sie besser nicht überschritten worden wären. Man spürt, dass schon durch das Aussprechen und Zuhören ein Stück Heilung passiert.

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Weltweite Friedensarbeit

Tamera hatte sich fast von Beginn an aktiv eingesetzt für konkrete Friedensarbeit, in kontinuierlicher Zusammenarbeit mit Organisationen vor Ort. Israel/Palästina und Kolumbien waren die Schwerpunkte dieses Wirkens. Und so verwundert es nicht, dass das, was sich anfänglich wie ein großes Familientreffen angefühlt hatte (was es auch war) sich nach kurzer Zeit auch in ein sehr aktuelles und hochpolitisches Treffen verwandelte. Aida und Uri, eine in Tamera lebende Palästinenserin und ein Israeli, brachten in vielleicht neuer Radikalität und Klarheit ins Bewusstsein, dass in Gaza ganz aktuell ein Völkermord stattfindet; auch Regierungsvertreter:innen und große Presseorgane benutzen mittlerweile dieses Wort. In die Hilflosigkeit angesichts dieses schon so lange ungelösten Konflikts tauchte als eine unterstützenswerte Aktion der 'Globale Marsch nach Gaza' auf (www.marchtogaza.net) - 4000 Menschen aus insgesamt über 80 Nationen machten sich zu Fuß auf an die Grenze, um ein Zeichen zu setzen und internationalen Druck aufzubauen für die Öffnung der Grenze. Sechs Menschen aus Tamera und dem Umfeld entscheiden sich zur Teilnahme.

Schule der Hoffnung

Tamera hat eine Schule aufgebaut, die 'Scuola de Esperanza' (Schule der Hoffnung), die von gut 20 Kindern aus Tamera oder der befreundeten Nachbarschaft besucht wird. Offiziell ist es 'Homeschooling', externe jährliche Prüfungen (auf Portugiesisch) über das Erreichen der vorgegebenen Lernziele machen das in Portugal möglich. Es war mir eine große Freude, zu erleben, mit welchem Engagement und welcher Begeisterung die jungen Schülerinnen (1.-6. Klasse) den interessierten Gästen ihre Schule vorstellten.

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Demut und Bescheidenheit

Demut und Bescheidenheit - diese beiden Worte fallen oft, wenn es darum geht, die Veränderungen zu beschreiben, die in Tamera stattgefunden haben. Nicht alle Blütenträume reiften. Das seinerzeit oft bemühte Bild, dass eine kohärente Gruppe von 30 Menschen einen prägenden Einfluss auf das Weltgeschehen haben könnte, ist einem realistischeren Blick gewichen. Auch wenn die Wichtigkeit einer globalen Perspektive immer wieder ins Bewusstsein gerückt wird, ist die Sensibilität dafür gewachsen, dass Tamera nach wie vor und überwiegend ein Projekt von weißen Mitteleuropäer:innen ist, und dass 'die Welt' ganz wesentlich auch andere Hautfarben und Perspektiven beinhaltet.

Heilung alter Wunden

Verschiedene Menschen betonten in der Abschlussrunde unserer Gruppe, dass schon das Aussprechen schmerzhafter Stellen in Verbindung mit tiefem Zuhören alte Wunden geheilt habe. Auch im Verhältnis der beiden großen Gemeinschaftsprojekte ZEGG und Tamera zueinander, die sich öfters neben der verbindenden Solidarität und Freundschaft auch in einem Spannungsverhältnis "geschwisterlicher Konkurrenz" befunden haben, ist Heilung eingetreten. Es gab mehrere Stimmen dazu, dass in den kommenden Jahren, vielleicht 2028 zum 50. Jubiläum des Gesamtprojekts Tamera und ZEGG in einer gemeinsam organisierten Veranstaltung zusammenfinden könnten.

Georg Lohmann, Juni 2025