I. Die Anfänge: Charismatische Bewegung (1991-96)

Mit den Anfängen des ZEGG fing es ja nicht an. Im Spätsommer 1991 landeten um die 80 Menschen einem Ufo gleich am Rande der Belziger Kleinstadt, um das Gelände einer ehemaligen Stasi-Ausbildungsstätte umzubauen in ein ‚Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung‘. Die Idee für ein solches war bereits 13 Jahre alt, denn Dieter Duhm, ein ehemaliger Hochschullehrer und Gallionsfigur der undogmatischen Linken, hatte bereits 1978 eine Broschüre mit eben diesem Titel veröffentlicht.

Auch hatte er in den Jahren 1983-86 das ‚soziale Experiment‘ der Bauhütte im Südschwarzwald geleitet. Dort hatten ungefähr 40 Teilnehmende intensive und für die meisten beglückende Erfahrungen gemacht an Gemeinschaftlichkeit, intensiver Kommunikation und einer Liebe und Sexualität, die befreit war von den Bedrängnissen der Eifersucht. Fast alle waren in Belzig wieder dabei. Die anderen 40 hatten das Projekt in den Zwischenjahren kennengelernt: in den Stadtgruppen, die entstanden waren, oder auf Tagungen, die das ‚Projekt Meiga‘, wie sich die Initiative mittlerweile nannte, regelmäßig veranstalteten.

Als „charismatische Bewegung“ charakterisiert Marc Thumann frei nach dem Soziologen Max Weber in seiner lesenswerten Diplomarbeit von 2006 die Organisationsform dieser Jahre: inspiriert und motiviert vor allem von der visionären Kraft des charismatischen Ideengebers Dieter Duhm. Nur: der war dieses Mal gar nicht dabei. Zumindest nicht vor Ort. Er lebte auf Lanzerote und schrieb an seinem neuen Buch. Dennoch war er präsent. Fast täglich wurden Vorträge von ihm auf Audiokassetten angehört und er war es, der die Gruppenleitenden ausbildete und in letzter Instanz auch derjenige, der die Leitungspersonen des frühen ZEGG bestimmte.

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II. Loslösung und Exodus (1996-2000)

Fünf Jahre nach dem ZEGG-Start war die Situation ziemlich dramatisch: Man hatte diesen Platz gekauft und dafür Verbindlichkeiten in Millionenhöhe aufgenommen. Es gab viele Stimmen, die ihn dennoch als ein Übergangsphänomen sahen, das eigentliche Projekt würde zusammen mit Dieter Duhm und Sabine Lichtenfels im Süden Europas aufgebaut - der Platz in Portugal war gerade gefunden und gekauft worden. Zugleich waren die Grundstückspreise in Ostdeutschland in einem dramatischen Verfall begriffen. Niemals würde man – Stand 1996 – das damals investierte Geld bei einem Verkauf wieder zurückbekommen. In dieser Situation gab es im Kontext der Sommercamp-Vorbereitungen von zumindest ein paar Dutzend Menschen eine Art Schwur: „Wir bleiben hier. Wir bauen das ZEGG auf – egal, was die im Süden dazu sagen“.

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Das ging nicht allen damaligen Bewohner:innen so. Dieter Duhm und seine Partnerin Sabine Lichtenfels waren nach Portugal umgezogen. Dort startete die Aufbauarbeit für das, was anfangs noch ‚Süd-ZEGG‘ hieß, nach kurzer Zeit jedoch den Namen Tamera bekam. Viele sagten sich: „Warum nicht das Original wählen, wenn es die Möglichkeit dazu gibt?“und meinten ein Leben im spirituellen Kraftfeld der Projektgründer:innen. So begann ein Prozess, in dessen Verlauf von gut fünf Jahren fast die Hälfte der ursprünglichen ZEGG-Bewohner:innen nach Tamera umsiedelten.

Zeitgleich stand das ZEGG unter extremem medialen Druck. Boulevard-Presse, kirchliche Stellen und linke Gruppen verurteilten es verbal. So dienten z.B. bestimmte aus dem Zusammenhang gerissene Passagen aus Büchern von Dieter Duhm und Sabine Lichtenfels, die man partout missverstehen wollte, als Futter dafür.

MenschenmengeCampus

III. Ein eigenes Profil finden (2000-06)

Zur Jahrtausendwende hin änderte sich das Bild allmählich. Die Lücken, die die Abwanderung nach Tamera gerissen hatte, füllten sich allmählich mit Menschen, die zur Vorgeschichte des Projekts keine so affektive Beziehung hatten. Neue Veranstaltungsformate wurden entworfen und umgesetzt, die positive und internationale Aufmerksamkeit hervorriefen, wie der ‚Frauenkongress‘ im Jahr 2000 oder die ICSA Konferenz (International Community Studies Association) im Jahr darauf. Das ZEGG hatte regional einiges an Reputation gewonnen, vor allem durch das starke Engagement einiger Bewohner:innen beim Zurückdrängen rechtsradikaler Bestrebungen,die für Belzig in den 1990er die Schaffung einer ‚national befreiten Zone‘ angestrebt hatten. Bei der Feier zum 10-jährigen Bestehens des ZEGG fand der Landrat deshalb lobende Worte für das Projekt: „Die reden nicht nur. Die machen“.

GegenRechtsradikalismus

Außerdem wurden in dieser Zeit wichtige ökologische Features nach und nach umgesetzt, Bäume gepflanzt, Bodenaufbau betrieben, auf naturnahe Baustoffe umgestellt.

IV. „Everything goes“ (2006-09)

Etwa zur Mitte der Nullerjahre entwickelten sich Strömungen im ZEGG, die jedweden positiven Bezug zur Projektgeschichte radikal in Frage stellten und die organisatorischen Verbindungen nach Tamera am liebsten ganz kappen wollten. Dem Forum wurden autoritative Tendenzen nachgesagt, persönliche Innenarbeit sollte in keiner Weise verpflichtend sein, jeder müsse nach eigener Façon selig werden, alles solle möglich sein.

Plenum

Der ZEGG-Chor, der bis dahin regelmäßig Teile von Theodorakis ‚Canto General‘ zur Aufführung gebracht hatte, wurde aufgelöst, das Werk galt als zu wuchtig, zu monumental und nicht in die Zeit passend. Mit der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) und der Trauma-Arbeit kamen neue Methoden in Kommunikation und Gruppenarbeit dazu, die das ZEGG bereichert haben. Zugleich aber wurde das Profil – wofür steht das ZEGG? – von Jahr zu Jahr diffuser.

V. Schärfung (2009-15)

Mit Clinton Callahan kam dann ein erfahrener Coach und Berater ins ZEGG-Feld, der über mehrere Jahre hinweg als Leiter von Gemeinschaftsintensivzeiten engagiert wurde und viel dazu beigetragen hat, bewusste Anstrengung in das Herausbilden eines eigenen Profils und einer Gemeinschafts-Identität zu investieren. Die ‚Hellen Prinzipien des ZEGG‘, die am Campus zu sehen sind, wurden in diesen Jahren in einem gemeinschaftlichen Prozess herausdestilliert.

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Zugleich wurde die Organisationsform des ZEGG auf den Prüfstand gestellt. Zunächst unter dem Begriff ‚Holocracy‘ wurde eine Vorform der soziokratischen Kreisorganisation ausprobiert, einige Jahre später wurde die Organisation in Kreisen nach den Prinzipien des Soziokratie offizell beschlossen und seitdem weiterentwickelt. Heute gibt es die folgenden Kreise: Sozialstern (für alle sozialen und gemeinschaftlichen Belange), G(elände)-Team (für die Erhaltung des Geländes und der Bauten), Versorgung (mit Garten, Küche, Einkauf, Dorfkneipe), Biber (Bildungsbereich mit Seminarkoordination, Jahresprogramm, Festivalplanung, Empfang und Gästehaus), Gestaltung (Finanzen und Verwaltung) und Öffentlichkeitsarbeit, außerdem den übergeordneten Koordinierungskreis.

In diese Jahre fällt auch der Beschluss, erstmalig seit Kauf des Geländes wieder große Summen zu investieren. Die zentrale Heizanlage, Anfang der 1090er ein Pilotmodell, war dabei zusammenzubrechen und wurde ersetzt durch eine neue Anlage mit einem komplett überarbeiteten Energiekonzept. Kurze Zeit später wurde mit dem Dachstockausbau im Ostflügel des Hauptgebäudes substanziell neuer Wohnraum geschaffen.

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VI. “Über dem Radar” (2015-19)

In ziemlicher Eile - ausgelöst durch die Zusage einer Großspende unter der Voraussetzung, dass das ZEGG als gemeinnützig anerkannt würde - wurde die Umwandlung der bisherigen GmbH in eine gemeinnützige GmbH vorangetrieben und zum 1.1. 2015 offiziell. Womit wir nicht so gerechnet hatten: Auf einmal schienen uns alle Behörden ‚auf dem Radar‘ zu haben. In den Vorjahren hatten wir erfreulich wenig mit Behörden zu tun gehabt. Auf einmal schienen sich Behördenvertreter die Klinke in die Hand zu geben: Wasserbehörde, Naturschutzamt, Finanzamt, Baubehörde…. Auf den ersten Blick kam wenig Gutes für uns dabei heraus, allerdings auch nichts wirklich Schlechtes: Die vielen provisorischen Bauten der ersten Jahre (Holz- und Lagerschuppen) wurden mit einem Federstrich im neuen Bebauungsplan als Bestand aufgenommen. Und Spenden flossen auf einmal in Höhen, die wir in früheren Jahren nur als Austauschdarlehen hatten generieren können. Aber auch der bürokratische Aufwand zur Verwaltung des ZEGG stieg enorm.

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VII. “Back to the roots?” – der ZEGG-Konflikt (2020-22)

Während die Corona-Pandemie das Land in Atem hielt, gab es im ZEGG ähnlich wie in der Gesellschaft kontroverse Haltungen zu den vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen und Konflikte darüber. Außerdem wurde das Zegg durch einen zusätzlichen Konflikt erschüttert: Brauchen wir eine Rückbesinnung auf die Ursprungsintention des Projekts, auf die Werte der Gründergeneration? Müssen wir wieder, wie damals, viel mehr in die ‚Innenarbeit‘ investieren, um mehr Wirkung und Strahlkraft zu bekommen? Brauchen wir eine gemeinsame Ausrichtung, eine Bewusstseinshierarchie? Oder sind das ‚alte Zöpfe‘ und das ZEGG hat sich diverser und positiv weiterentwickelt? Mehrere Intensivzeiten in Folge waren diesem Thema gewidmet, wie auch dem Verhältnis zur Go&Change Gemeinschaft, mit der eine kleine Gruppe ZEGG-Bewohner:innen sehr verbunden war. Der Konflikt brachte das ZEGG in eine existenzielle Krise, die erst mit einer abgrenzenden Stellungnahme gegenüber Go&Change und dem Auszug einiger Menschen endete. Darunter waren zwei wichtige Gründungsmitglieder, die nach Jahrzenten der Aufbauarbeit im ZEGG nun nochmal mit einem eigenen Projekt starteten.

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VIII. Konsolidierung – Herausforderungen (2023- )

Die Wunden aus der Konfliktzeit sind verheilt, es finden wieder Besuche und freundliche Kommunikation statt. Eine wissenschaftliche Studie der Uni Cottbus untersuchte 2024 den Hohen Fläming als „Hotspot sozialer Innovation“ und identifizierte das ZEGG als wichtige Pionierorganisation für diesen Prozess. Mit der Gründung der Wohngenossenschaft „ZEGG-Wohnen eG“ wurden 2023 Weichen gestellt für gewünschte und notwendige Neubauten im ZEGG. Was weiterhin nur langsam vorangeht, ist der Generationswechsel. Es gibt viele ältere Menschen, aber nur noch wenige Kinder und eine einzige Geburt im Verlauf mehrerer Jahre. Die Jugendcamps und Twengruppen bei den Festivals sind ausgebucht und sehr beliebt, viele Twens kommen auch sonst ins ZEGG zur Jungen Liebesschule und weiteren Treffen – aber in der Generation der 30 bis 40-Jährigen klafft eine Lücke und wir brauchen mehr Menschen im mittleren Alter, die den Betrieb und das Gemeinschaftsleben aufrecht erhalten.

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Mit Tamera ist seit einigen Jahren ein schöner Prozess der ‚Wiederannäherung auf Augenhöhe‘ im Gang; man beginnt wieder, über gemeinsame Veranstaltungen nachzudenken. Und die Weltlage ist nicht nur für das ZEGG ausgesprochen herausfordernd – so sind wir froh, auf eine so langjährige Geschichte, eine Stabilität und einen Schatz an Erfahrungen zurückblicken zu können

Von Georg Lohmann, Mai 2025

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