Dachstock April Georg 3

Vor einiger Zeit schrieb ich aus einem Bauchgefühl heraus: Ungefähr 80 % der Arbeitszeit des ZEGG Geländeteams (zuständig für den Erhalt des Platzes und für alle Sanierungs- und Bauvorhaben) wird von über oder knapp Sechzigjährigen geleistet. Eine Überprüfung der Arbeitslisten ergab: 2020 betrug dieser Prozentsatz nur 54 %, 2022 waren es gut 75 %! Ich habe mit meinem Bauchgefühl also annähernd richtig gelegen. Für die Handwerksabteilung eines Betriebes ist das ein ungewöhnlicher und ziemlich alarmierender Befund!

Die Rechnung bezieht sich auf die Mitarbeiter:innen, die Gemeinschaftsmitglieder sind oder werden wollen. Da wir viele tolle externe Mitarbeiter:innen haben, die nicht im ZEGG leben und im Schnitt jünger sind, fällt die Dramatik der Situation nicht so auf: die nötige Arbeit wird ja im Großen und Ganzen erledigt. Unsere und speziell auch meine langjährigen Bemühungen, Nachwuchs fürs G-Team zu finden waren im Großen und Ganzen wenig erfolgreich: viele hoffnungsvolle +-40jährige, die wir in den vergangenen fünf Jahren versucht haben im G-Team einzubinden, sind wieder ausgezogen.

Wir haben da also echt ein Thema! Ich behandle es hier nur beispielhaft am G-Team und weiß, dass es in vielen Arbeitskreisen ähnlich aussieht.

Dass dieses Thema, und wieso wir uns damit so schwertun, nicht nur eine schlichte Frage des Lebensalters ist, sondern tatsächlich mit dem zusammenhängen könnte, was die Soziologen als Generationen im Sinne von Alterskohorten definieren und damit generalisieren (Boomer, X, Millenials…), das dämmerte mir erst spät.

 

Warum ich gerne im ZEGG arbeite

Vor knapp zwei Jahren schrieb ich für den ZEGG- Blog einen Text „Warum ich gerne im ZEGG arbeite – obwohl ich ‚draußen‘ doppelt so viel verdienen könnte“. Der zweite Teil dieser Überschrift wurde von der Redaktion gekürzt, ist aber in meinem Manuskript genau so enthalten. Inhaltlich stehe ich noch voll hinter dem Text, aber wenn ich ihn mir jetzt durchlese, kommt er mir merkwürdig ‚aus der Zeit gefallen‘ vor.

Ich schrieb ihn in der vollen Überzeugung, dass wir im G-Team etwas richtig Attraktives anzubieten haben: Abwechslungsreiche, vielfältige Arbeit, tolles Team, hohes Maß an Zeitautonomie, cooles Projekt … Das mit dem geringeren Lohn wog für mich die Vorteile nicht auf. Als Kind der Alternativbewegung der 70er war ‚einfach besser Leben‘ einer meiner Lieblingsslogans (und ist es immer noch).
Der Aufbau selbstverwalteter Betriebe hatte viel Sexappeal. Als Kind von Eltern, die die materiellen Nöte der Nachkriegszeit schwer verinnerlicht hatten („bloß nichts wegschmeißen, was man noch gebrauchen könnte“) hatte ich es gelernt, viel zu arbeiten und mit wenig auszukommen.
Ich musste lernen, dass das für die Jüngeren anders aussieht. Und da klar ist, dass die Geschichte nicht rückwärts läuft, ist auch klar, dass zumindest auf mittlere Sicht die Jüngeren die Maßstäbe setzen und wir Älteren abtreten werden. Die Frage ist, ob es uns gelingt, diesen Prozess ‚sozialverträglich‘ zu gestalten, vielleicht sogar so, dass er für andere beispielgebend ist. Mein Wunsch wäre es.

Ich muss gut zuhören, wenn die Jüngeren sprechen

Ich muss gut zuhören, wenn die Jüngeren sprechen, und versuchen, sie zu verstehen. Ich muss mir aber ihre Sicht nicht zu eigen machen. Jüngere werden ihre Sicht auf die Dinge in dieser Matinee im Anschluss darstellen (der Text wurde als Eingangsvortrag für eine ZEGG interne Matinee geschrieben) – ich schreibe Gedanken auf, wie sie mir Vertreter meiner Generation wichtig sind. Als Jahrgang 1956 bin ich sowas wie im Median der Boomer Generation, die von den meisten Soziologen als die der zwischen 1950 und 63 geborenen definiert wird.

Das leicht herablassendes ‚OK, Boomer‘ ist ja schon in den üblichen Sprachschatz eingegangen und hat es zu einem Wikipedia-Eintrag gebracht! Es signalisiert, dass wir nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind. Trotzdem könnte unsere Betrachtungsweise etwas Wertvolles beinhalten – und ich versuche zu ergründen, aus welchen Quellen sie sich speist.

Unsere Eltern haben in aller Regel die Not und Entbehrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit bewusst miterlebt. Die meisten wollten die Gründe, die zu diesem Desaster geführt haben, lieber verdrängen – die volle Energie ging da hin, die materielle Not zu überwinden und wieder ‚aus dem Vollen‘ schöpfen zu können. Koste es, was es wolle. Das ‚Wirtschaftswunder‘ war die Frucht unserer Elterngeneration und dass es mit dem Babymachen ‚geboomt‘ hat, ist eine Folge der neu gewonnenen Zuversicht.

Unsere Boomer-Generation hat die Erzählungen von Not und Knappheit in sich aufgenommen - und die Arbeitswut auch

Unsere Generation hat zumindest die Erzählungen von Not und Knappheit in Kindertagen in sich aufgenommen und die Arbeitswut auch, die unsere Eltern zur Überwindung der Not meist an den Tag gelegt haben. Aber wir wollten es anders machen! Wie jede Generation. Wir haben in viel höherem Maße die Sinnfrage gestellt als unsere Elterngeneration. Trotzdem: Arbeit hat den höchsten Stellenwert habe ich mir herausgeschrieben als ein Kennzeichen der Boomer, als ich im Oktober letzten Jahres anfing, ein bisschen zu recherchieren, was denn im Internet zu unserem Thema abzupflücken ist.

Karriereorientiertstand als Stichwort im gleichen Text. Und da komme ich jetzt auf ein Spezifikum der ‚Projekte-Szene‘ der 70er und 80er Jahre, aus der heraus auch das ZEGG entstanden ist: Ein zwar zahlenmäßig eher kleiner, aber doch bedeutsamer Teil der Boomer-Generation hat zwar den Arbeitsethos ihrer Altersgenossen in gleichem Maße verinnerlicht, aber nicht das Streben nach materiellem Wohlstand, das die meisten Altersgenossen an den Tag legten. „Konsumterror“ und „Überflussgesellschaft“ waren wichtige Stichworte in den Debatten der links-alternativen Projekte-Szene. Und so war das Streben nach materiellem Wohlstand geradezu verpönt.

Ich fasse im Folgenden die jüngeren Generationen, die die Soziologen in Generation x, y, und z noch weiter unterteilen, hier der Einfachheit halber als „die Jüngeren“ zusammen. Ein Schlüsselerlebnis war für mich in diesem Zusammenhang ein Erlebnis, dass ich im Sommer letzten Jahres mit einer ungefähr 30jährigen Mitarbeiterin hatte. Ich hatte sie nach einem klassischen Generationskonflikt-Gespräch um Rat angefragt.
Sie erzählte mir, wie es für sie ein wichtiges Erlebnis war, als ihr einer der ‚Älteren‘ irgendwann erzählt hatte, wie er als 16jähriger jeden Morgen um 6 Uhr aufgestanden ist, um Zeitungen auszutragen, weil das Geld sonst nicht gereicht hatte – und dass das vielen seiner Altersgenossen ebenso erging (auch mir!). Für sie klang das wie Geschichten aus einer anderen Welt.

Materielle Not kennt unsere Kindergeneration nur im Ausnahmefall

Jede Generation wünscht es sich ja, „dass es die Kinder besser haben“ – und mir wurde an dieser Anekdote klar, dass wir ‚Boomer‘ das in den meisten Fällen tatsächlich geschafft haben: Materielle Not und Enge kennt unsere Kindergeneration nur im Ausnahmefall.

Die Jüngereren besitzen dafür ein hohes Maß an Diskriminierungs- und Privilegienbewusstsein (anti-Rassistisch, queer, Antisexistisch…). Ich finde es interessant, dass sich dies meiner Wahrnehmung nach wenig auf die Situation bestehender ökonomischer Ungleichheit bezieht. Gut ausgebildete Mittelständler vergleichen ihr Einkommen wie selbstverständlich mit dem ihrer Peers gleicher Profession. Dass Gärtner:innen, Putzkräfte, Dienstleistende in der Pflege, Köch:innen etc. in der Regel sehr viel weniger verdienen ist kein Aufreger.

Im Projektgründungselan unserer und meiner jungen Jahre hingegen war ‚Einheitslohn‘ hingegen ein fortschrittliches Attribut. Alle verdienen (pro Zeiteinheit) das Gleiche, das schien erheblich gerechter als die wahnwitzigen 1:100 Gehaltsunterschiede, die in großen Unternehmen üblich sind. Und aufgewachsen mit dem erwähnten anti-konsumistischem Zeitgeist der alternativen Szene der 70er und 80er Jahre konnte man mit Einheitslohn auf dem Lohnlevel von Hilfskräften in den selbstverwalteten Projekten auch recht gut leben.

Das ZEGG ist diesen Weg gegangen. Vor kurzem fand ich beim Ordner-Entsorgen ein Ökonomie-Papier von Emile Niklas aus dem Jahr 2003, in dem er anmerkt, dass wir eher zu viel als zu wenig Lohn zahlen würden, für Arbeiten in Küche, Garten, mit Kindern…. Dadurch, dass auch unsere Medienleute, Projektentwickler, Geschäftsführer etc. das gleiche verdienten, konnten wir uns das leisten.

Rente - das kommt später

Natürlich waren wir aus der Gründergeneration des ZEGG in mancher Hinsicht auch blind. In seinen 40ern über Rentenfragen nachzudenken galt als extrem uncool (ich rede hier von der ZEGG-affinen Alternativkultur). „Rente – das kommt später“ haben ich und viele meiner Altersgenossen gedacht. Man war froh nur wenig an Sozialversicherung zahlen zu müssen. Das fällt mir und uns jetzt auf die Füße und ich verstehe, wenn Jüngere mit Unverständnis und Befürchtungen auf diese Tatsache schauen. Knapp 400 € Rente ist die Frucht dieses Denkens bei mir.

Aber bereue ich es? Irgendwie nicht. Die Tatsache, dass es mir gelungen ist gut 40.000 € anzusparen, obwohl ich seit ungefähr 20 Jahren vom ZEGG-Einheitslohn lebe, und eine Erbschaft von über 70.000 €, die ich als Darlehen im ZEGG zusätzlich ‚auf der hohen Kante‘ habe, spielen sicher eine Rolle dabei, dass ich in finanzieller Hinsicht ziemlich entspannt bin.

Ich habe in meinem Leben schon so viele schlagartige krasse Einkommenssprünge – Halbierung oder Verdopplung -, erlebt und ohne größere Wallungen durchlebt, dass mir drohende Altersarmut irgendwie keine Angst macht. Essen gehen, Urlaub und Geschenke / Spenden – das waren die Haupt-Stellschrauben, um die Ausgaben an die Einnahmen anzupassen und das ging ziemlich problemlos.

Was ich bei den Jüngeren hingegen erlebe: dass der Bedarf irgendwie als fixe Größe gesehen wird und dass, wenn das Einkommen niedriger ist als der Bedarf, sich dieses daran anpassen muss. Dass es auch andersrum sein könnte, und zwar auf freiwilliger Basis, das scheint keine Option zu sein.

„Dass man im ZEGG ja nichts verdienen kann“, das scheint unter den Jüngeren und Neueren so etwas wie eine feststehende Wahrheit zu sein, die viele daran hindert, hier voll Verantwortung zu übernehmen. Und so verdienen eine Reihe von gut ausgebildeten Jüngeren, die wir von der Qualifikation hier dringend in viel größerem Umfang brauchen könnten, ihr Geld lieber in besser bezahlten Jobs außerhalb als dass sie sich in dieses Projekt auch arbeitsmäßig voll einlassen.
Und da haben wir als Gemeinschaft und Betrieb echt ein Problem. Siehe oben, am Anfang meiner Ausführungen.

 

Einheitslohn-Gedanken über Bord werfen?

Eine pragmatische Lösung könnte sein, dass wir den Einheitslohn-Gedanken über Bord schmeißen. De facto müssen wir das sowieso tun und tun es auch schon – weil wir das Notwendige halt extern einkaufen, zu den branchenüblichen Löhnen. Und da verdient ein Finanzfachmensch halt das dreifache als ein Koch. Und da das Klientel der Gemeinschaftsinteressierten halt überwiegend aus gut ausgebildeten Menschen besteht (was auch gut ist), wird die Tendenz weitergehen, dass wir unsere Niedriglohn-Jobs (Küche, Gästehaus, Garten, z.T. G-Team) zunehmend von außerhalb besetzen. Dort ist das Geld, welches wir zahlen, relativ normal und wir punkten mit gutem Arbeitsklima (wenig Stress, freundlicher Umgang miteinander) und haben es (noch) nicht allzu schwer, Leute zu finden, die diese Arbeiten gerne und zuverlässig machen.

Und dass wir für die Arbeiten, die höhere Qualifikation erfordern (Finanzbüro, G-Team) die nötigen Arbeiten ebenfalls zu den üblichen Preisen einkaufen (müssen). Da können wir sie auch gleich unseren Leuten zahlen. Aber wollen wir das? Dann gibt es in Kürze bei jeder Einstellung Gehaltsverhandlungen wie in jedem üblichen Betrieb und entsprechende Gehaltsunterschiede. Vielleicht haben wir nicht wirklich die Wahl – ich weiß es nicht. Auf jeden Fall sollten wir offen darüber reden.

Gemeinsame Ökonomie wird ja von einigen der Jüngeren mit gewissem Nachdruck auf die Agenda gesetzt, nachdrücklicher als es in den vergangenen Jahrzehnten der Fall war. Und tatsächlich könnte hier, rein logisch, eine Lösung für das Problem liegen! Ich persönlich war aus lebenspraktischen Erwägungen nie ein großer Freund davon – aber mein Verstand sagt mir, dass es gut und vielleicht sogar helfen könnte, die strukturellen Probleme zu lösen. Ich freue mich darüber, dass es (jüngere) Menschen gibt, die dieses Thema voran bewegen.

Meine Zeit ist um – ich höre hier jetzt einfach auf, auch ohne dass es ein runder Abschluss ist und bin gespannt darauf, was im Folgenden Jens als Vertreter der „Jüngeren“ zum Thema beisteuern wird. – und freue mich auf das anschließende Gespräch.

 

Georg

Von Georg Lohmann

 

 

 

 

 

 

Wir benutzen Cookies
Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (z.B. Statistik & Sprachwahl). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.