Wanderstudies

Drei ehemalige Studenten der ‚Wanderuni‘ (https://wanderuni.de/ ), Teil eines Netzwerks der selbstbestimmten Lernwege, haben im Oktober für vier Tage im ZEGG Station gemacht und in mehreren Veranstaltungen von ihren Lernwegen und ihren Erfahrungen berichtet. Bettina Klein hat sich ganz eingelassen. Hier ihr Bericht:

Als sie angekündigt wurden, hatte ihr Besuch wenig Bedeutung für mich. Drei junge Menschen, die mit der Wanderuni unterwegs waren. Ich kam aus unserer Intensivzeit und hatte eigentlich gerade genug gehört und gefühlt, über Generationswechsel, Altlasten des ZEGG und von jungen Menschen und wollte ein bisschen meine Ruhe haben. Doch das Leben zeigte mir einen anderen Weg.

Als ich mir die Zeit nahm, das Plakat und die Programmankündigungen genau und gründlich zu lesen, passierte ein kleiner innerer Wandel. In mir tat sich eine Neugier und ein Interesse auf, sowie die Bereitschaft, meinen Kalender zu zücken und weitere Nachmittage und Abende lustvoll zu verplanen.

Als sie nach vier Tagen wieder gingen, war ich erfüllt von einer Begegnung der besonderen Art. Ihre Offenheit und ihr Interesse, von uns zu hören und die Freude, mit der sie von sich persönlich und über ihren selbstbestimmten Bildungswanderweg berichteten, beeindruckten mich und eröffneten einen ganz besonderen Raum des Lauschens und Denkens.

Emil, Eva und Juri haben von „einst bis neulich“ an der Wanderuni studiert, so schrieben sie es in ihrer Ankündigung. Die Wanderuni ist eine Lernform ohne Form, Format und Gebäude, in dem die Studierenden für jeweils ein Semester überwiegend zu Fuß unterwegs sind. Das Was, Wie und Wo für diese sechs Monate entwickelt jede Gruppe für sich, ebenso wie Gruppengröße, Schwerpunkte, Thema, Wege, Übernachtung …. Es geht darum, die Zeit gemeinsam zu verbringen und sich durch und im miteinander Sein zu bilden. Als Lernkulturgestalter hat Emil in den letzten Jahren verschiedene Bildungsräume ins Leben gerufen, die Menschen auf ihrer Suche nach einer schöneren Welt und ihrem Platz darin unterstützen. Die Wanderuni ist einer davon. Er hat unzählige Menschen auf dieser Suche begleitet und ist dabei manchmal zu früh in die Rolle eines Ältesten gegangen, weil diese sonst fehlten. Ihm ist es ein tiefes Anliegen das Verständnis für diese Such- und Orientierungsphase zu verbreiten, in der sich so viele junge Menschen derzeit befinden.

Sie kamen zu uns, um mit uns zu teilen, was sie auf ihrem Bildungsforschungswanderweg gefunden haben. Ihr Bewegtheit und ihre Betrachtungsweise zeigte mir deutlich, dass ihr Anliegen ein Mensch-sein-Thema ist.

Jede einzelne Veranstaltung war eine Herausforderung für mich, und auch eine Einladung, mich tiefer einzulassen. Die drei Wanderstudis luden mich ein, meine Betrachtungsweise von mir selbst, meine Vorstellungen über Bildung und Lernen und über die Frage „wer ist berechtigt, wem was zu zeigen“ neu zu betrachten. Sie hatten dafür farbenfrohe und lernbejahende Gedanken und Konstrukte im Gepäck. Sie teilten mit uns die Ergebnisse ihrer vielfältigen Forschungsbereiche und lauschten im Gegenzug unseren Berichten aus dem Leben in unserer Gemeinschaft.

Im "Corona-Verständnis-Modell", zeigte Emil ein Modell auf, jenseits von Fakten und "Recht-haben-Streit", welches helfen kann, Verständnis für die verschiedenen Positionen und für die Spaltungsdynamiken zu entwickeln. War doch auch bei uns Corona das Thema gewesen, an dem sich die Geister gründlich schieden und sich Positionen verhärteten. Leider habe ich weder mitgeschrieben noch die tabellarische Gegenüberstellung fotografiert doch der Begriff ‚empathische Kommunikation‘ schrieb sich in mein Hirn und Herz ein, das Fehlen derselbigen bei Konflikten hatte ich in der eigenen Gemeinschaft erlebt.

„Gewaltfreie und feministische Wege aus der großen Grütze. Was Juri sich wirklich wünscht für diese Welt“. Das war der Titel von Juris Nachmittag und er spiegelte für mich seine Leidenschaft für Forschung, Kreativität und ganzheitlichem Feminismus als ein Weg, um sich von dort aus wieder mit dem Leben zu verbinden. Wellengleich trugen uns seine und unsere Beiträge - von unterschiedlicher Erfahrung, Visionen und individuelle Betrachtungsweisen, sie ließen uns auf- und abtauchen, und auch mal baden gehen.

Eva gestaltete ihren Abend musikalisch. Sie webte einen Wortteppich, der die vielfältigen Bewegungen ihrer Wanderungen im Inneren wie im Äußeren aufzeigte und erschuf einen Klangraum in dem die Gefühle sehr lebendig waren. Ihre Lieder handeln in Wort und Klang vom Suchen und fragenden Finden, von der "Lücke zwischen den Welten", von Beziehung, von Abschied und von Lebensfreude. Begleiten lässt sich Eva darin von den gezupften Saiten ihrer Gitarre.

Den folgenden Text schickten die Wanderstudis im Juli, zusammen mit ihrer Anfrage, ob sie willkommen wären im ZEGG:

Emil, Eva und Juri … haben gesucht, gefragt und geforscht und sich im Dschungel der selbstbestimmten Bildung herumgeschlagen. Nun möchten sie mit uns teilen, was sie auf ihren Pfaden gefunden und gelernt, entwickelt und komponiert haben.

Sie machen diese Tournee, weil sie glauben, dass sie Wertvolles zu schenken haben. Und sie wollen damit nicht warten, bis sie internationales Renommee und Ehrendoktorwürden haben. Sie trauen sich das, weil sie sich wünschen, dass mehr Menschen sich das trauen. Weil sie glauben, dass in vielen Menschen Erfahrungen und Wissen schlummern, die die Welt braucht. Und weil sie eine dezentrale Bildung stärken wollen, in der sich Menschen nicht nur von oben bilden lassen, sondern sich untereinander und miteinander bilden.

Darum wollen sie auch nicht nur ihre Schätze teilen, sondern immer auch etwas von dem Wissen, der Weisheit und den Schätzen, die an dem Ort vorhanden sind, erlauschen. Für jeden Bildungsraum, in dem sie etwas teilen, wollen sie einen weiteren Raum öffnen, in dem Menschen des Ortes von ihrem Lernweg, ihrer Lebensgeschichte oder anderen Themen und Erkenntnissen teilen können. Diese Mosaiksteine tragen sie weiter auf ihrer Reise und weben so ein Netz zwischen den Orten, die sie besuchen.“

Jetzt, beim Suchen der passenden Wörtern um diesen Text zu schreiben und dem Lesen ihrer Sätze schwingt die Magie ihres Besuches in mir. Ich bin und war berührt über die Möglichkeit, so auf die Welt zu schauen und auf diesem Wege zu lernen. Wortkompositionen wie‚ Landstreichler‘ oder‚ Coinspirationexponenzialdominoeffekt‘ sind Buchstabenbilder mit einem eigenen Klang und malen eine weite Welt in mir.

Aus dieser Begegnung erklären sich für mich die Herausforderungen des im ZEGG anstehenden Generationswechsels. Diese Generation stellt Werte, Bezugsquellen und Schlussfolgerungen in Frage, denn an ihren Eltern, anderen Erwachsenen und der Welt sehen sie die Folgen.

Sie berichteten sie über ihre Erfahrungen als Wanderstudis und über ihre Begegnungen mit Gemeinschaften und andere bestehenden Lebens- und Wohnformen. In Erinnerung ist mir geblieben die begrenzte Bereitschaft der Älteren, junge Menschen für kurze Zeit aufzunehmen und wieder ziehen zu lassen. Die Studis wollten berichten, erfahren, mitarbeiten und wieder gehen und hatten eher das Gefühl als Lückenfüller für versäumte Entscheidungen welcher Art auch immer gesehen werden. Ihr Wunsch ist ein Format für jungen Menschen in dem diese willkommen sind, mitarbeiten und wieder gehen können – auch wenn alles zu Stimmen scheint. –. In ihren Augen ist es wichtig Nein zu sagen, wenn das Herz uns dazu ruft, weiter zu gehen. Jedes Nein ist ein „ich gehe“ solange, bis ein volle „Ja“ hervorbricht und der Mensch sich entscheidet, und bleibt – von ganzem Herzen.

Bei all dem bin ich neugierig geworden auf „Lernen in mir geschehen zu lassen“. Im Dezember treffen sich Interessierte für das Semester an der Wanderuni, Ich habe mich angemeldet und bin sehr gespannt auf das was ich erleben werde.

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